KiTa-Betreuung ist heutzutage Mangelware. Kaum gibt es inzwischen eine Mama, die darunter nicht leidet. Seit rund acht Wochen managen viele Eltern Kinder und Job von zuhause. Was gestern nach Not- und Übergangslösung aussah, ist heute Dauerzustand und nahezu Normalität in Deutschland. Dank Corona.
Die Pandemie betrifft und belastet fast jede Familie: körperlich, seelisch, finanziell. Ich verbringe momentan sehr viel Zeit mit meiner dreijährigen Tochter zusammen. Im Corona-Alltag erlebe ich hautnah wichtige Meilensteine in ihrer Entwicklung: Vor allem an der Sprache und am Verhalten macht sich das bemerkbar. Sehr wahrscheinlich hätte ich dies auch ohne den Ausnahmezustand mitbekommen. Nur jetzt kommt mir diese Erfahrung irgendwie intensiver vor.
Mit Kindern ist es wie mit Erwachsenen, besonders wenn sie frisch verliebt sind: Je mehr Zeit sie miteinander verbringen, desto besser wissen sie übereinander Bescheid. In Krisen passiert dies sogar schneller als gedacht.
Jedenfalls habe ich zurzeit eine sehr spannende und intensive Beziehung zu meinem Kind. Und ich wage es zu sagen: Dadurch lerne ich mich, mein Kind und noch so einiges besser kennen.
Es geht dabei um diese vier wichtige Dinge für mich.
1. Multitasking ist ein Mythos
Die Fähigkeit, mehrere Aufgaben gleichzeitig zu erledigen, kurz Multitasking genannt, gibt es nicht. Zumindest merke ich momentan nichts davon. Verdammt. Wo ist denn diese Fähigkeit, wenn ich sie am meisten brauche? Ich erinnere mich jeden Tag vage an sie, besonders wenn etwas schief geht. Es geht momentan viel schief.
Donnerstag, 7. Mai. Ungefähr fünf Stunden verbringe ich im Homeoffice. Beende es gegen 13.30 Uhr. Nur 15 Minuten später bin ich auf dem Spielplatz. Seit heute dürfen Kinder & Co. wieder hin. Ich löse dort den Papa ab. Er ist jetzt damit beschäftigt, das Re-entry seiner Firma zu planen und muss schnell wieder nach Hause zurück. Circa zwei Stunden bin ich mit meinem Kind unterwegs: Wir essen Schoko-, Vanille-, Mango- und Erdbeer-Eis. Köööööstlich, wie die Kleine sagt. Danach bummeln wir kurz durch das Veedel.
Nach der Kinderbetreuung ist vor der Kinderbetreuung
16 Uhr. Wieder zuhause. Hunger. Damit ich die Bratkartoffeln und den Kopfsalat schnell zum Abendessen vorbereiten kann, schicke ich die Kleine ins Planschbecken. Eimer für Eimer fülle ich es selbstverständlich mit Warmwasser auf. Mein Plan ist: Sie planscht, ich koche. Gesagt, geglaubt.
Zwischendurch schmeiße ich eine Waschmaschine an. Zwischendurch kippe ich noch mehr Warmwasser ins Kinderpool nach. Ich wasche und schneide klein die riesigen Kartoffeln und den feinen Salat. Rühre den Dressing. Bedauerlicherweise kommt die Kleine jetzt schon aus dem Pool heraus. Ich ziehe ihr schnell den Bademantel an, decke sie noch zu, schalte ihre Lieblingsvideos im Handy an, drücke es ihr in die Hand. Nur so kann ich weitermachen.
Beim Kochen und Essen ist jeder Griff und jeder Gedanke eng getaktet
Die Bratkartoffeln purzeln schon einige Zeit in der Pfanne. Ich mische nun den Dressing in den Salat. Es scheint zu laufen. Muss nun zwischendurch die Folge „Peppa Wutz und der Zirkus“ anmachen. Schiele zur Pfanne. Die Kartoffeln sind schwarz. Essen ist guuuut.
Noch ein paar Sekunden und ich kann essen
Das Kind läuft herum, Bademantel ist aus. Die Kleine hat wohl keinen Hunger mehr. Sie isst trotzdem drei Stück Bratkartoffeln und will schon weg. Ich versuche sie zu überzeugen, noch drei Stück und etwas Apfelmus zu essen. Ich stelle meinen Teller auf den Tisch. Dabei gleitet mein Blick zum Boden. Unter dem Esstisch Croissant-Krümel. Vom Frühstück. Heute. Das kann doch nicht wahr sein. Es ist frisch geputzt.
Die Waschmaschine piepst weiter. Mehrmals und aufdringlich. Wie ich den Hersteller meiner Waschmaschine in solchen Momenten hasse: Klang und Dauer des Pieps könnte er verbraucherfreundlicher programmieren.
Mein Sitzkissen ist mit Apfelmus gekleckert. Ich überlege kurz, ob ich mich doch nicht in den Apfelmus-Klecks schnell und schmerzfrei hinsetzen soll. Spart Zeit und Nerven. Ich mache den Fleck doch weg. Des Rocks wegen. Die Waschmaschine ruft. Mein Kind schreit: Pipiiiiiiiiiii.
2. In mir steckt zu wenig Kind
Irgendwie müssen wir, Eltern, während der Pandemie unsere Kinder sinnvoll beschäftigen und dabei ihre Bedürfnisse und Interessen berücksichtigen. Zurzeit wimmelt es von Angeboten, Tipps, Ideen, Anregungen für den Kinderspaß zuhause. Einige davon probieren wir sogar aus.
Wir malen Mandalas aus, stellen selbst Knete her und färben sie mit Lebensmittelfarben. Wir pusten Blubber-Bläschen, plantschen, puzzeln. Wir hören Musik, tanzen und singen gern dabei. Fahren Roller oder Rad. Wir gärtnern, kochen und backen zusammen. Verkleiden uns und stylen uns. Machen Quatsch. Fangen Schmetterlinge und Gorillas.
Auf meinem Kopf wird geklettert, auf meinem Bein gewippt, auf dem Rücken gerutscht. Wir sind passionierte Fang-mich- und Versteck-dich–Spieler. Zumindest der jüngste Spieler von uns. Wir üben zwischendurch Schubkarre und Kinder-Yoga. Aber auch Geduld.
Die Häuser bauen die Papas
Eines Tages baut die Kleine mit Papa ein ziemlich cooles Baumhaus im Park. Sie fahren Roller um die Wette.
Nun ist Mama an der Reihe: Ich soll ein Baumhaus bauen. Meine Tochter ist total begeistert, ihre Augen strahlen. Sie sucht und sammelt schon fleißig das Holz für unser neues Zuhause. Ich spüre Null-Begeisterung: Ist es möglich, dass so wenig Kind in mir lebt? Ich versuche trotzdem eins zu bauen. Mein Fazit: Haus bauen und Wettrennen sollen lieber Papas übernehmen.
Zugegeben, an diesem Tag bin ich viel mehr mit mir beschäftigt. Während mein Kind Holzstöcke für unser Baumhaus sucht, bin ich gedanklich woanders. Ich überlege, welches Zitat – dieses von Zig Zigal oder von Steve Jobs – besser in meine Präsentation passt.
3. Es ist ein Wunder zu lieben
Vor Kurzem habe ich etwas gehört, was mich fasziniert und zugleich verwirrt: Es soll ein Wunder sein, dass wir lieben. Es stimmt. Im Corona-Chaos glaube ich langsam daran, dass Liebe tatsächlich etwas mit Wunder zu tun hat. Warum nicht direkt Liebe zum achten Wunder der Welt krönen?
Dass Mama und Papa bedingungslos lieben ist richtig und wichtig. Dass meine Tochter Mama und Papa auch bedingungslos liebt, ist mir manchmal ein Rätsel. Ein kleines Wesen wie sie muss jetzt öfters als sonst unsere strengen Blicke, unsere laute Stimme, unsere schlechte Laune ertragen. Ok. Manchmal ignoriert sie das einfach. Zum Glück.
Ich stelle mir nur manchmal vor, ich wäre an ihrer Stelle. Ich würde mich nicht mal für eine Minute so lieben. Schimpfen, ermahnen, verbieten. Spielverderber sein.
Natürlich gehört auch viel trösten, beruhigen und kuscheln in diesen anstrengenden Tagen dazu.
Corona und die Liebe
Was hat das nun mit Corona zu tun? Ganz einfach: Viele Eltern stehen unter Strom seit Ausbruch der Pandemie. Genauer gesagt seitdem Schulen und Kindertagesstätten geschlossen bleiben. Gleichzeitig ist Homeoffice flächendeckend angeordnet, soweit dies möglich ist. Das Ergebnis davon: Der Reizpegel zwischen Eltern und Kindern steigt exponentiell nach oben. Die Liebe in den Zeiten Coronas ist nun existentiell.
Die Eindämmung der Pandemie ist mittlerweile ein Stresstest für die Liebe innerhalb der Familie geworden.
4. Ist Grenzen setzen im Corona-Alltag erlaubt
Ich tue mich schwer damit, meinem Kind Grenzen zu setzen. Besonders jetzt. Denn was bedeutet das? Woran erkenne ich in einer Situation, wann der richtige Zeitpunkt ist, diese durch ein „nein, bis hierhin“ zu „beenden“. Bei Kleinkindern in der Trotz-Phase lässt sich dies sehr schwierig per se umsetzen. Schließlich möchte ich erst einmal verstehen, worum es dem Kind geht. Dann entscheide ich: Soll ich erklären? Soll ich belehren? Soll ich ablenken? Soll ich jetzt doch endlich Grenzen setzen?
Das bedeutet für mich mehr oder weniger: strenge Stimme, böser Blick und eine Warteschleife, die sich etwa so anhört:
Mama & Kind
Ich: Nein. Ich habe nein gesagt.
Kind: Doch wohl.
Ich: Nein. Ich habe nein gesagt.
Kind: Doch wohl.
Ich: Nein. Ich habe nein gesagt. Verstehe es doch bitte.
Kind: Dooooooch.
Mein Kind vertritt seine Meinung stark. Mit Fäustchen, die irgendwo hinhauen. Mit knirschenden Zähnchen, mit verzogenem Mäulchen.
Und wie stark bin ich? Na ja, im Corona-Chaos bevorzuge ich Ruhe. In „Grenzen setzen“ übe ich mich später. Zum Beispiel dann, wenn auch unsere KiTa ihren „eingeschränkten Regelbetrieb“ irgendwann mal wieder aufnimmt.
Ohne KiTa in Corona ist alles doof
Mein Kind und ich sind zurzeit zwangsläufig unzertrennlich. Denn KiTa ist seit Corona tabu. So kriege ich sehr viel von ihrer Kinderwelt mit, sie wiederum von meiner Berufswelt. Während ich ungefähr sechs Stunden zuhause im „Office“ arbeite, geht sie ihrer frühkindlichen Bildung nach: Sie bildet sich online. Ziemlich lange. Dies täglich. Seit circa acht Wochen. Gern zoomt sie täglich mit Peppa Wutz, Pippi Langstrumpf, Conny und Caillou. Langweilt sie das Handy, möchte sie mit mir Fangen oder Verstecken spielen, den bösen Wolf jagen oder die sieben Geißlein füttern.
Mitspielen oder Grenzen setzen
Mir ist oft nicht nach Spielen, wenn es meiner Tochter nach Spielen ist. Gleichzeitig möchte ich meinem Trotzkopf nicht ständig Grenzen setzen. Denn das Kind hat es ohne KiTa noch schwerer. Wozu denn mein „Nein“ durchsetzen? Also, Einschränkungen lockern.
Kinder spielen nun mal gern. Schöner wäre es nur, wenn sie das bald zusammen in der KiTa täten. Das Spiel dort hat eine andere Dynamik, eine andere Qualität als das Spiel mit Eltern. Konflikte lösen die Kinder untereinander mit ihren eigenen Kompetenzen. Sie lernen unter ihresgleichen Chefs und Team-Player kennen. Erfahren dann, zu welchen sie gehören.
Im Homeoffice süßes Popcorn vor dem Laptop zusammen mit meiner Tochter kauen und ihr von Projekten erzählen, finde ich zwar cool, dennoch gaga.