Seit circa drei Jahren jogge ich nicht mehr: zu viel Zeit in andere und anderes investiert, zu wenig in mich. Dabei fallen mir die besten Ideen meistens beim Joggen ein. Wenn ich jogge, habe ich den Kopf frei. Kurzum: Ich jogge, ich denke.
Joggen gibt mir auch das Gefühl, frei zu sein. Natürlich trainiere ich dabei noch meine Ausdauer und meine Figur. Aber kreativ und frei zu sein – das vermisse ich in den vergangenen drei Jahren unglaublich.
Mit ein paar Kilos und einigen Blessuren mehr möchte ich mir das zurück erkämpfen, was lange genug auf der Strecke liegen bleibt.
Bei meinen ersten sechs Runden – verteilt auf knapp zwei Monaten – kommen mir diese Gedanken in den Kopf.
28. Juni SONNTAG
Drei Jahre Pause vom Joggen. Heute mache ich Schluss damit. Ich laufe wieder. Meine Füße heben kaum vom Boden ab. Es macht trotzdem Spaß.
Die frische Luft schafft bei mir Kapazitäten für Fragen wie diese : Warum fällt es mir so schwer Mutter zu sein? Es kann doch nicht sein, dass mich mein Kind so auspowert. Was wäre es mit zwei oder drei Kids. Fünf oder sieben. Das gibt es auch.
Diese Frage kann ich mir sogar selbst beantworten: Es ist nicht das Kind. Es ist das Drum-Herum, das stresst. Die Variablen: Job, kein Job, KiTa, keine KiTa mit oder ohne Homeoffice coronabedingt. Die Konstanten: Familienmanagement, ein bisschen gärtnern, ab und zu für den Blog schreiben, fast täglich Kochen, Backen, Waschen, Spülen, Saubermachen. Dazu kommen all die administrativen und operativen Aufgaben. Zum Beispiel gehe ich zu diversen Ärzten, beschäftige mich mit meiner Steuererklärung. Konsumiere: Medien und Güter. Aktuell shoppe ich online alles Mögliche, was ich brauche. Zum Beispiel eine Picknickdecke, einen Camping-Kühlschrank und ein ziemlich langes Outdoor-Kabel. Die Utensilien brauchen wir für unser Zeltabenteuer bald.
1. Juli SAMSTAG
Eltern spielen mit ihren Kindern auf dem Spielplatz. Es ist Mittag. Ich zähle sechs Mütter und genau sechs Väter dort gerade. Fair verteilt. Das ist ein Verdienst der Gleichberechtigung. Denke ich und jogge weiter.
Doch meine Gedanken bleiben beim Spielplatz hängen. Haben Eltern vor 40 Jahren auch so mit ihren Kindern zusammen gespielt? Ich kann mich nicht daran erinnern, dass es so war. Oder vor 80 Jahren? Mein Gott. 80 Jahre. Klingt nach einer Ewigkeit, nach einem ganzen Leben. Wie schnell sind 80 um. Dann vorbei. Ende. Aus. Geschafft.
Eigentlich muss etwas bleiben. Was? Eigentlich müssen wir etwas erreichen. Wie?
7. Juli DIENSTAG
Um 21:07 entscheide ich mich doch zu joggen. Das erste Mal so spät. Ich bin gespannt. Nach dem Regen kommt heute die Sonne raus. Die Erde ist leicht feucht, die Sommer-Luft frisch. Tauben, Raben und Spatzen sind noch um diese Zeit wach und gut gelaunt. So spät abends ist weniger los. Trotzdem so lebendig: Mensch und Natur sind noch wach. Ich darf dabei sein. Das ist lange nicht mehr passiert. Mein Kind schäft und träumt schon. Mein Mann wahrscheinlich auch. Ich bin draußen. Da, wo das Leben noch tobt. Wunderschönes Gefühl.
Ein Cross-Trainer auf Reifen kommt mir entgegen. Nie vorher gesehen. Das Gerät heißt FreeCross, circa 3000€ teuer, „Made in Germany“.
Mein Schienbein, rechts und links, schmerzen seitdem ich wieder jogge. Mein rechtes Knie auch. Ich bin eingerostet.
Trotzdem fühle ich mich frei und glücklich. Im Hier und Jetzt. Die Animal-Print-Bauchtasche der vorbeifahrenden Radlerin möchte ich auch haben.
Der Cross-Trainer begegnet mir ein zweites Mal. Nach 5708 Schritten, laut App, bin ich wieder bei Kind und Mann zurück. Beide schlafen. Ich trinke meinen Rotwein und schreibe zu Ende.
10. Juli FREITAG
Heute vor dem Joggen shoppe ich analog. Kleider. Diese, die kaschieren.
Deswegen denke ich später über Kleidergrößen nach: von Zero-Size bis zu Einheitsgrößen. In die Null passte ich noch nie rein. Sie ist eher für Brigitte Macron. Aber Einheitsgrößen – meist breit und luftig geschnitten – gerade bei angesagten Maxi-Kleidern diesen Sommer durften mir bis zu diesem Tag keine Sorgen bereiten.
Es gibt tatsächlich Einheitsgrößen, die nach 36 und 38 aussehen. Vergewissern möchte ich mich lieber nicht.
14. Juli DIENSTAG
Wie sieht die Zukunft von vielen Frauen in Deutschland aus? Altersarmut gefährdet viele. Frauen sollen sich ruhig mehr Gedanken machen: über Finanzen, Investitionen, Vollzeitjobs, Ehe-Verträge, zwölf Jahre Kindererziehung, Erben, Testamente und sonst alles, was Altersarmut verhindern kann.
Der Lärm eines Laubbläsers und einer Elektro-Kettensäge holt mich aus einen Gedanken zurück.
Augenfutter auf zwölf, egal männlich oder weiblich, erinnert mich daran: Bis zur gewünschten Kleidergröße ist ein langer Weg.
Ich merke sofort, wie ich mich in diesem Augenblick selbst unter Druck setze. Das muss nicht sein. Es gibt (fast) immer einen Grund, warum jemand so is(s)t, wie er oder sie is(s)t.
20. Juli MONTAG
Zum ersten Mal habe ich das Gefühl, dass ich mehr jogge als walke. Wie immer sezte ich mir kleine Ziele: durchlaufen bis zum blauen Auto, zum Stromkasten oder zum Parkschild. Dann Pause. Wieder los: zum roten Auto, bis zur Kreuzung, bis zur Ampel. Ich versuche durchzuhalten. Bin froh, dass es heute etwas besser als sonst funktioniert.
Der Mensch ist ein Gewohnheitstier. In der Regel dauert es circa sieben Wochen bis wir uns an eine neue Aktivität gewöhnen.
Ich bin froh, dass ich zu dieser alten Gewohnheit zurückfinde und habe noch rund fünf Wochen herauszufinden, ob das Projekt Joggen ein langfristiges und sinnvolles für mich ist.
Wenn du auch joggen willst, kannst du bei Achim Achilles alias Dr. Hajo Schumacher alles übers Laufen, aber auch über Dinge wie Männer und Familie, nachlesen.